Der BFH hat – unter Änderung seiner bisherigen Rechtsprechung – entschieden, dass eine Bildungseinrichtung und damit auch eine Hochschule (Universität) nicht als regelmäßige Arbeitsstätte anzusehen ist, auch wenn diese häufig über einen längeren Zeitraum hinweg zum Zwecke eines Vollzeitunterrichts oder -studiums aufgesucht wird (BFH, Urteile v. 9.2.2012 – VI R 42/11 und VI R 44/10; veröffentlicht am 28.3.2012).

Hintergrund: Nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG sind Aufwendungen für die Wege zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte nur beschränkt, nämlich in Höhe der Entfernungspauschale von derzeit 0,30 € je Entfernungskilometer als Werbungskosten abziehbar. Als regelmäßige Arbeitsstätte hat der BFH bislang auch Bildungseinrichtungen (z.B. Universitäten) angesehen, wenn diese über einen längeren Zeitraum zum Zwecke eines Vollzeitunterrichts aufgesucht werden. Fahrtkosten im Rahmen einer Ausbildung waren deshalb nicht in tatsächlicher Höhe, sondern der Höhe nach nur beschränkt abzugsfähig (s. z.B. BFH, Urteil v. 10.4.2008 – VI R 66/05). Hieran hält der BFH nicht länger fest. Fahrten zwischen der Wohnung und einer vollzeitig besuchten Bildungseinrichtung können daher zukünftig in voller Höhe (wie Dienstreisen) und nicht nur beschränkt in Höhe der Entfernungspauschale als Werbungkosten abgezogen werden.

Streitfälle: Der BFH hat in der Sache VI R 44/10 die Fahrtkosten einer Studentin zur Hochschule (Universität) im Rahmen eines Zweitstudiums als vorweggenommene Werbungskosten zum Abzug zugelassen. In dem Verfahren VI R 42/11 hat der BFH die Aufwendungen eines Zeitsoldaten für Fahrten zur Ausbildungsstätte, die im Rahmen einer vollzeitigen Berufsförderungsmaßnahme angefallen waren, ebenfalls in tatsächlicher Höhe berücksichtigt.

Hierzu führt der BFH weiter aus: Auch wenn die berufliche Fort- oder Ausbildung die volle Arbeitszeit des Steuerpflichtigen in Anspruch nimmt, ist eine Bildungsmaßnahme, auch wenn sie sich über einen längeren Zeitraum erstreckt, regelmäßig vorübergehend und nicht auf Dauer angelegt. Wie bei einer Auswärtstätigkeit hat in einem solchen Fall der Steuerpflichtige typischerweise nicht die Möglichkeiten, seine Wegekosten gering zu halten. Damit ist eine Ausnahme von dem sonst geltenden Grundsatz der unbeschränkten Abzugsfähigkeit von Werbungskosten in den Fällen der vollzeitigen Aus- und Fortbildung nicht gerechtfertigt. Im Übrigen versteht der BFH nach neuerer Rechtsprechung unter “regelmäßiger Arbeitsstätte” i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG nur eine ortsfeste dauerhafte betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers und damit regelmäßig den Betrieb des Arbeitgebers oder einen Zweigbetrieb. Schon aus diesem Grund ist eine arbeitgeberfremde Bildungseinrichtung –unabhängig davon, ob die Bildungsmaßnahme die volle Arbeitszeit des Steuerpflichtigen in Anspruch nimmt oder neben einer Voll- oder Teilzeitbeschäftigung ausgeübt wird– nicht als regelmäßige Arbeitsstätte anzusehen.

Anmerkung: Der BFH weist in seinen Entscheidungen auch darauf hin, dass eine Berufsausbildung i.S. des Steuerrechts nicht nur vorliegt, wenn der Steuerpflichtige im dualen System oder innerbetrieblich Berufsbildungsmaßnahmen durchläuft. Allein maßgebend kann nur sein, ob die Ausbildung berufsbezogen ist und eine Voraussetzung für die geplante Berufsausübung darstellt. Diese Grundsätze gelten auch nach den Neuregelungen in § 4 Abs. 9, § 9 Abs. 6 und § 12 Nr. 5 EStG durch das BeitrRLUmsG unverändert fort.

Quelle: BFH online

Hinweise: Aufwendungen für Dienstreisen können allerdings (auch bei Inanspruchnahme der Kilometerpauschale) steuerlich nur berücksichtigt werden, wenn der Steuerpflichtige Fahrtaufwand tatsächlich getragen hat. Bei Anwendung der Entfernungspauschale kommt es darauf nicht an. Betroffen von der Rechtsprechungsänderung sind in erster Linie Steuerpflichtige in einer Zweitausbildung oder Steuerpflichtige, bei denen das Studium im Rahmen eines Dienstverhältnisses stattfindet. Denn der Gesetzgeber hat in § 4 Abs. 9, § 9 Abs. 6 EStG sowie § 12 Nr. 5 EStG i.d.F. des BeitrRLUmsG (erneut) bestimmt, dass Aufwendungen des Steuerpflichtigen für seine erstmalige Berufsausbildung oder für ein Erststudium, das zugleich eine Erstausbildung vermittelt, keine Werbungskosten sind, wenn diese Berufsausbildung oder dieses Erststudium nicht im Rahmen eines Dienstverhältnisses stattfindet. Steuerpflichtige in einer ersten Ausbildung sollten gleichwohl ihre Aufwendungen hierfür unter Hinweis auf die anhängigen Musterverfahren (VI R 61/11, VI R 2/12, VI R 6/12, VI R 8/12 und VIII R 49/11) als vorweggenommene Werbungskosten oder Betriebsausgaben bei ihrem Wohnsitzfinanzamt geltend machen. Denn die Verfassungsmäßigkeit der Neuregelungen steht in Rede (vgl. hierzu ausführlich Geserich in Heft 15 der NWB 2012).

Fahrten zwischen Wohnung und Ausbildungsstätte (BFH) ultima modifica: 2018-02-05T14:29:43+01:00 da lsthv-presse