Die Religionszugehörigkeit ist reine Privatsache, geschützt durch das Grundgesetz. Sie geht niemanden etwas an. Doch nun wird sie Banken, Versicherungen oder Finanzdienstleistern mitgeteilt. Vollautomatisiert. Alles keine staatlichen Organisationen, sondern Dritte. Die Aushöhlung des Steuergeheimnisses zu Gunsten Dritter und privater Organisationen und Personen ist verfassungsrechtlich bedenklich, zumal die Zuständigkeit für die Gesetzgebung nicht dem Bund, sondern nach dem Grundgesetz den Ländern obliegen würde (Art. 140 Grundgesetz i. V. m. Art. 137 Absatz 6 Weimarer Reichsverfassung).
Die Betroffenen werden nicht einmal um Erlaubnis befragt. Der Grund: Die Finanzbehörden geben die Abführung der Kirchensteuer auf Zinserträge an die Finanzinstitute ab. Die katholische und auch die evangelische Kirche erwarten dadurch deutlich mehr Geld.
Viele Deutsche legen ihr Geld gut an. Zum Beispiel in Aktienpaketen, Fonds, Versicherungen oder Sparverträgen. Das bringt Zinsen. Auf diese Zinserträge müssen immer auch Kirchensteuern gezahlt werden, wenn die Kapitalerträge über 801,00 € bzw. bei Verheirateten über 1602,00 € liegen.
Bislang hat das Finanzamt die evtl. zu zahlende Kirchensteuer berechnet und abgeführt. Doch das soll sich zum 1. Januar 2015 ändern: Kreditinstitute, Versicherungen oder Finanzdienstleister werden zu „Kirchensteuerabzugsverpflichteten“. Sie müssen damit die „Kirchensteuer auf Kapitalerträge ermitteln und automatisch abführen“, so schreibt es eine neue gesetzliche Regelung durch § 51a Absätze 2b bis e und Absatz 6 Einkommensteuergesetz (EStG) vor.
Die Banken wissen größtenteils nicht, welcher Konfession ihre Kunden angehören. Das geht sie auch nichts an. Damit sie aber ihrer Verpflichtung nachkommen können, müssen sie die entsprechenden Daten erfragen. Diese werden ihnen vom Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) zur Verfügung gestellt. Es ist davon auszugehen, dass einige Banken oder auch Versicherungen mit dieser Abfrage schon in diesem Jahr beginnen werden.
Hintergrund für die Preisgabe persönlicher, geschützter Daten ist, dass in der Vergangenheit durch angeblich unzureichende Meldung von Kapitalerträgen an das Finanzamt größere Verluste an Kirchensteuer für die Religionsgemeinschaften (Kennz.: rk, ev, ak, jüd. Gemeinden und einige andere) für die der Staat die Kirchensteuer (Kultussteuer b. jüd. Gem.) einzieht, entstanden sein sollen.
„Vereinfacht gesagt: Die Kirchen vermuten hier Einnahmenpotentiale, die Finanzbehörden geben dem Begehren nach und man nimmt in Kauf, womöglich Persönlichkeitsrechte in Frage zu stellen“, sagt Bernd Werner, Vorsitzender der Lohnsteuerhilfe für Arbeitnehmer, Lohnsteuerhilfeverein, Sitz Gladbeck.
Es sei ein bisschen so, als werde der Großteil der Sparer unter Generalverdacht gestellt, Kirchensteuern zu hinterziehen. „Wir verstehen dieses Vorgehen als Einschnitt in die Persönlichkeitsrechte“, sagt Bernd Werner, Vorsitzender der Lohnsteuerhilfe für Arbeitnehmer, Lohnsteuerhilfeverein, Sitz Gladbeck. „Zumal ohnehin stets hinterfragt werden muss, warum deutsche Finanzbehörden für meist 3% Provision Kirchensteuern einziehen. Auch die Finanzbehörden geht die Konfessionszugehörigkeit grundsätzlich nichts an.“
Experten befürchten zu alledem auch noch, dass durch Sicherheitslücken die Daten von Fremden mitgelesen werden können. Die Übermittlung der Auskunft durch das Bundeszentralamt für Steuern an den Kirchensteuerabzugsverpflichteten erfolgt gemäß Einkommensteuergesetz (ESTG) in Form eines verschlüsselten Codes. Doch selbst der Bundesbeauftragte für den Datenschutz hat in einer entsprechenden Anhörung im Fachausschuss Bedenken über die Sicherheit dieser Übermittlung geäußert (vgl. Stellungnahme gegenüber dem Finanzausschuss des Deutschen Bundestags vom 21. September 2011).
Auch wenn sie nicht gefragt werden – Steuerzahler haben dennoch eine Möglichkeit, die Datenübermittlung zu stoppen. „Wir als Lohnsteuerhilfeverein raten allen, die ihr Geld angelegt haben und die Wert auf ihre Privatsphäre legen, einen Antrag auf einen Sperrvermerk (Widerspruch) beim Bundeszentralamt zu erklären,“ sagt Bernd Werner, Vorsitzender der Lohnsteuerhilfe für Arbeitnehmer, Lohnsteuerhilfeverein, Sitz Gladbeck.
Der Widerspruch muss mit dem Sperrvermerksvordruck eingelegt und bis zum 30. Juni des Vorjahres beim BZSt eingegangen sein. Damit also bereits für die erstmalige Abfrage beim BZSt die Sperrwirkung eintritt, muss der Widerspruch spätestens am 30. Juni 2014 vorliegen.
Wer den „Sperrvermerk“ abgeschickt hat, ist damit nicht von der Kirchensteuer befreit. Im Gegenteil: Mit dem Sperrvermerk wird lediglich verhindert, dass Kreditinstitute oder Versicherungen auf dem Wege automatisch persönliche Angaben zur Konfessionszugehörigkeit erfahren und die Kirchensteuer automatisch abführen. Daher müssen die Angehörigen der Religionsgemeinschaften, für die das Finanzamt die Steuer erhebt, selbständig dem Finanzamt alle Kapitalerträge angeben, soweit sie die Freibeträge übersteigen. Das Finanzamt setzt dann die Kirchensteuer fest und führt diese ab. Die Angaben werden in der Anlage KAP der Einkommensteuererklärung eingetragen. „Das ist in unserem Lohnsteuerhilfeverein – wie bei anderen auch – ohnehin gängige Praxis“, sagt der Vorsitzende der Lohnsteuerhilfe für Arbeitnehmer, Lohnsteuerhilfeverein, Sitz Gladbeck, Bernd Werner.